Dr. Phil. Oliver Florig

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Vom Nutzen der Freiheit

Unter Freiheit verstehen wir meistens die Möglichkeit, zu tun und zu lassen, was uns beliebt. Welchen Umfang diese Art von Freiheit hat, hängt auch von Gesetzen und Normen ab, die den Raum der Möglichkeiten einschränken. Neben dieser sogenannten negativen Freiheit gibt es aber auch noch eine andere Art von Freiheit, nämlich die positive Freiheit, das eigene Leben alleine und mit anderen so zu gestalten, dass wir es aus guten Gründen als sinnvoll und gut ansehen können. Nicht alles, was ich im Namen meiner negativen Freiheit verteidige, scheint mir noch sinnvoll, wenn ich mich frage, ob ich es wirklich wichtig oder richtig finde.

Manchmal macht es diese positive Freiheit also nötig, eben nicht alles zu tun, was mir gerade so gefällt. Gestalten kann ich mein Leben nämlich nur dann, wenn ich nicht jedem Impuls nachgehe, sondern prüfe, ob er sich in ein Leben einfügt, das ich bejahen und gutheißen kann. Auch diese Freiheit wird von äußeren Umständen beschränkt: Armut, Krankheit, Ver- oder Gebote setzen auch dieser Freiheit äußere Grenzen. Dennoch bleibt sie immer bestehen, zumindest solange ich bei Bewusstsein bin. Denn immer dann bleibt es mir zumindest prinzipiell möglich, über eines zu bestimmen: meine innere Einstellung zu meinem gegenwärtigen Leben, so eingeschränkt es sein mag.

Diese Freiheit ist außerordentlich wichtig. Je stärker sie ist, desto weniger sind wir von äußeren Umständen, Launen und Gefühlsschwankungen abhängig. Dabei geht es nicht darum, nichts mehr zu wollen, zu fühlen oder wahrzunehmen. Nein, es geht nur darum, die Fähigkeit zu behalten, uns von all diesen Faktoren nicht mitreißen zu lassen, sondern Fragen zu stellen.

Wie kann ich diese Umstände noch sehen? Will ich wirklich so reagieren? Könnte ich nicht auch anders? Will ich wirklich mein Verhalten von diesem oder jenem Gefühl bestimmen lassen? Hat der andere vielleicht da oder dort recht – oder wenigstens einen verständlichen Punkt? Wie nimmt eigentlich sie oder er die Situation wahr? Wie sehen die anderen mich? Was erleben sie an mir?

Solche und ähnliche Fragen sind nur möglich, wenn ich eine gewisse Distanz zu meinen Lebensumständen und meinen automatischen Reaktionen und Vorurteilen schaffe und ein wenig innehalte. Gleichzeitig vergrößern diese Fragen diese Distanz zu meiner unmittelbaren Reaktion und erhöhen die Bandbreite möglicher Verhaltensweisen.

Das fällt nicht immer leicht. Oft sind unsere Gefühle, Bedürfnisse, Begierden und Vorurteile so stark, dass wir uns praktisch nicht mehr in der Lage sehen, diese Freiheit tatsächlich auszuüben. „Wenn du so mit mir redest“, sagt dann etwa jemand zu seinem Ehepartner, „dann sehe ich rot, dann kann ich nicht anders als Dich anzuschreien!“ Ähnlich sture Reaktionen beobachte ich auch in politischen Diskussionen: Immer wieder machen wir einfach dicht, wollen nichts mehr hören, sind einfach sauer, egal, was der andere sagt. So bleibt unsere Perspektive notwendig beschränkt.

Oft wird uns unsere quasi-automatischen, aber begrenzten Standardreaktionen gar nicht bewusst: es scheint so selbstverständlich, dass ich die Welt in dieser oder jener Weise sehe, mich zu dieser oder jener Lebensweise verpflichtet fühle, dass es mir gar nicht in den Sinn kommt, sie anders zu sehen. Letztlich kann man Psychotherapie auch als den Versuch beschreiben, unseren unmittelbaren Reaktionen auf die Schliche zu kommen und dann zu entscheiden, wie ich damit umgehen will

Es geht also in Therapie und Beratung oft genau darum, eine Freiheit wiederzugewinnen, das eigene Leben mehr als bisher so zu gestalten, dass ich mit ihm wirklich einverstanden sein kann. Andernfalls bleibt mir vielleicht die Freiheit, zu tun, was mir so einfällt, aber nicht die Freiheit, zu wollen, was ich – mit etwas Abstand – wirklich will.

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