Dr. Phil. Oliver Florig

Blog

Vom Gelingen der Liebe

Dass Liebesbeziehungen, Partnerschaften und Ehen heute recht labil sind, ist statistisch gut belegt. Woran liegt das? Nach meiner Beobachtung sind Beziehungen heute zutiefst widersprüchlich. In ihnen sollen nämlich drei Ziele gleichzeitig erreicht werden. In einer Partnerschaft wünschen wir uns nämlich folgendes:

  • Eine tiefe romantische Verbindung, in der ich ganz gesehen und von meinem Partner aufgefangen werde (romantische Liebe).
  • Einen optimalen Deal, in dem ich aus meinem persönlichen Kapital das Maximum heraushole und den bestmöglichen Partner für mich gewinne.
  • Authentizität: Ich möchte keine Gefühle unterdrücken bzw. verschweigen und auf keine Bedürfnisse verzichten.

Dass diese drei Ziel unvereinbar sind, liegt auf der Hand. Eine tiefe, romantische Verbindung, in dem man mich ganz sieht und in der ich geborgen bin, lässt sich kaum mit einem Deal vereinbaren, der mit Blick auf den eigenen Nutzen geschlossen wird. Dazu kommt: Ein Deal ist jederzeit kündbar. Seine Konditionen können frei ausgehandelt und immer wieder verändert werden. Das ist mit dem Wunsch nach Geborgenheit und Verlässlichkeit in der Partnerschaft schlicht inkompatibel. Ein Deal ist aber außerdem unvereinbar mit dem Ziel, alle meine Bedürfnisse leben zu können. Denn jeder Deal bedeutet, etwas zu geben, um etwas zu bekommen. D.h. jeder Deal bedeutet Verzicht.

Besonders heftig werden die Zielkonflikte, die sich aus diesen drei Ziele ergeben, wenn es um Sexualität und Treue geht. Dabei geht man von einer Prämisse aus: „Wir können vereinbaren, was wir wollen.“ Dieser Satz fällt in meiner Praxis öfter, und zwar vor allem in Gesprächen über sexuelle Vorlieben oder über die Frage, wie geschlossen oder offen eine Beziehung sein soll. Da die Bedürfnisse, die in solchen Fragen „verhandelt“ werden, äußerst persönlich sind, kommt es hier – der offiziell verkündeten Nüchternheit der Verhandlungen zum Trotz – zu zahlreichen Kränkungen: „Wie kannst Du so etwas vorschlagen, wenn Du mich doch liebst“, sagt vielleicht die Stimme der Romantik, wenn der Partner sein Bedürfnis nach Sex mit anderen Menschen oder ungewöhnlichen sexuellen Praktiken vorträgt und darauf pocht, dass man ja frei sei, in dem, was man vereinbare.

In früheren Zeiten hätte man es hier relativ einfach gehabt: Eine Ehe beruhte nicht auf romantischen Gefühlen, sondern auf Pflichten, die relativ genau festlegten, was man zu tun und zu lassen hatte. Selbstredend gehörten sexuelle Offenheit und ungewöhnliche Vorlieben erst einmal nicht zu den Dingen, die man einem Partner auch nur vorschlagen durfte. (Was man heimlich tat, war eine andere Sache.) Dieses Modell hatte sicher viele Nachteile. Es war aber andererseits durch seine Klarheit entlastend – und machte den Berufsstand des Paartherapeuten tendenziell überflüssig.

Nun können wir kaum einfach zurück in die alten Zeiten, selbst wenn wir das wollten. Was kann uns helfen?

  • Humor und Wärme: Der Paartherapeut Schmidbauer schlägt dieses Mittel für den Umgang mit dem romantischen Liebesideal vor: Dieses Ideal sei so hoch, dass es nur mit einer Prise Humor erträglich sei. Nur wer über mit dem unvermeidlichen Scheitern an diesem Ideal humorvoll umgehen könne, könne eine Partnerschaft über die Zeit erhalten. Ich finde, Humor und die damit einhergehende Selbstdistanz entschärft auch die geschilderten Zielkonflikte.
  • Verzicht: Letztlich setzen mich alle drei genannten Ziele massiv unter Druck. Ich muss eine großartige, einmalige Liebesgeschichte leben, dabei den bestmöglichen Deal erreichen und außerdem noch ganz bei mir bleiben und meine Bedürfnisse vollumfänglich befriedigen. Viel Spaß, möchte man sagen. Hier hilft nur eines: Sich immer wieder ganz klar zu machen, dass das völlig unmöglich ist. Dann kann man gemeinsam leben, was möglich ist. Das aber geht nicht ohne Verzicht.
  • Wärme oder Wohlwollen meinem Partner gegenüber, helfen mir den anderen zu sehen, jenseits meiner Bedürfnisse und Vorstellungen. Dann fällt es auch leichter die Widersprüche des anderen und unsere Konflikte zu sehen, und ihn trotzdem oder gerade darin zu lieben. Ja, ich würde hier von Liebe sprechen, die weit tiefer ist als der illusionäre Überschwang der romantischen Verliebtheit. Eine solche Liebe erlaubt es vielleicht auch die menschliche Schönheit des anderen wahrzunehmen – jenseits meiner Erwartungen daran, wie der andere zu sein hat.
  • Selbsttranszendenz: Wer den anderen liebt, kann dann auch Verbindlichkeit an den Tag legen, weil es eben nicht mehr um den größtmöglichen Überschwang, den besten Deal oder die Befriedigung aller Bedürfnisse geht, es geht mir dann um den anderen, es geht mir dann um uns, das gemeinsame, konkrete und unspektakuläre Leben. Kurz, es geht mir nicht mehr (nur) um mich. Viktor Frankl spricht hier von Selbsttranszendenz: Ich überschreite meine Bedürfnisse, meinen inneren Erwartungsdruck um des anderen und des gemeinsamen Lebens willen.
  • Nichts übertreiben: Den anderen in den Blick zu nehmen und in seinen Bedürfnissen und Widersprüchen aber auch in seiner Schönheit bei ihm zu sein, heißt nicht, auf alle eigenen Bedürfnisse zu verzichten. Wer ganz einfach für den anderen da ist, kann sich auch zumuten, ohne egoistisch zu werden.

Eigentlich geht es immer wieder um dasselbe: Verzichten wir auf überhöhte Ideale und Ansprüche, bleiben wir auf dem Boden und entdecken wir das, was hier und heute schön ist im Leben miteinander, soweit das eben geht. Wenn das nicht mehr im ausreichenden Maße geht, dann, aber vielleicht erst dann, ist eine Partnerschaft gescheitert.

0123 456 789
mail@firma.de
Unsere Facebook-Seite
Unsere Instagram-Seite
Mo-Fr 7-17 Uhr