Am Tag nach Trumps Wahl begann jeder meiner Klienten zunächst darüber zu sprechen – und nicht über seine persönlichen Fragen. Viele meine Freunde – und ich auch – fühlten sich ein wenig wie gelähmt. Mehr als einmal hörte ich den Satz „Ja, wozu mache ich dann noch meine Arbeit, wenn so etwas möglich ist?“ Noch stärker waren diese Gefühle der Lähmung oder des Entsetzens bei vielen, als Russland die Ukraine überfiel oder nachdem die Terroristen der Hamas feiernde Israelis töteten oder verschleppten. In diesem Text möchte ich versuchen, zu verstehen, warum genau uns diese Ereignisse so beschäftigen, ja manchmal geradezu lähmen. Und ich möchte mich fragen, wie wir trotzdem die Hoffnung bewahren und gut leben können.
Dies ist die zweite Version dieses Textes. Die erste war rein politisch geraten und passt nicht so recht an diesen Ort. Also nun noch einmal auf einer persönlicheren Ebene: Warum beschäftigen uns diese Ereignisse so sehr? Geht es uns dabei nur um unsere eigene Sicherheit und unseren eigenen Wohlstand, die gefährdet sein könnten? Das sicher auch. Aber ist das alles? Ich glaube nicht und erinnere mich an meine Zuversicht und Freude als die Berliner Mauer fiel und eine friedliche Zukunft in Europa auf einmal sicher schien. Einige Jahre später begann der Friedensprozess im Nahen Osten und in Lateinamerika brachen zahlreiche Diktaturen in sich zusammen. Man hatte gute Gründe zu hoffen, dass die Zukunft besser und friedlicher werden könnte, dass Verständigung über Völkergrenzen hinweg möglich sei, dass die Menschen auf der ganzen Welt in Freiheit leben wollen. Bei all dem hatten ökologisch denkende und empfindende Menschen wie ich noch die Hoffnung, dass die Menschheit auch lernen würde, die nicht-menschliche Natur zu schützen. Diese Hoffnung war so viel größer als nur die Freude darüber, dass das eigene Leben nicht mehr durch Atomkrieg bedroht war oder die globale Weltwirtschaft den persönlichen Wohlstand mehren würde.
All diese Freude hatte auch einen altruistischen Aspekt: Wir wünschen uns ein gutes, friedliches und freies Leben für alle Menschen. Ja, manche wünschen sich auch einen guten Umgang mit der nicht-menschlichen Natur. Es geht uns ganz offensichtlich in unserem Leben nicht immer nur um uns. Wir wollen stattdessen Teil sein einer Gruppe, der Menschheit oder gar der Erde als Ganzer sein, die gedeiht und in der das Gedeihen jedes einzelnen möglichst gut gelingen kann. In den 90er Jahren schien die politischen Ereignisse diese Hoffnung zu nähren.
Und genau dieser Horizont hat sich in den letzten Jahren verfinstert. Es scheint immer deutlicher, dass wir nicht wirklich die Absicht haben, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen. Ja, noch nicht einmal das Wissen, dass eine halbwegs intakte Natur Grundlage des Wohlergehens unserer Kinder und Enkelkinder ist, motiviert uns scheinbar, die menschengemachte Zerstörung der Erde zu beenden. Das scheint auch ziemlich aussichtslos, solange Menschen wie Putin global das alte Spiel „Meine Sandburg ist größer als Deine“ spielen. Anstatt gemeinsam an einer lebenswerten Zukunft zu arbeiten, betreibt Putin eine rücksichtslose Machtpolitik. Entgegen unserer Hoffnungen in den 90er Jahr war auch die amerikanische Politik oft von einer ähnlichen Haltung geprägt. Man denke nur an den völkerrechtswidrigen Einmarsch im Irak. Heute ist eine konstruktive Rolle von den USA noch weniger zu erwarten. Schließlich ist ganz deutlich, dass Donald Trump und seine Leute – wie die AfD bei uns – nur ein Ziel kennen: das Wohlergehen bestimmter Teile der Bevölkerung des eigenen Landes, d.h. der weißen Amerikaner – oder im Fall der AfD – der deutschstämmigen Deutschen. Aber selbst dieses Ziel wirkt bei Trump nur vorgeschoben. Es ist ein Vehikel seines persönlichen Durstes nach Anerkennung. Make Donald great again, müsste eigentlich sein Slogan heißen.
Anscheinend habe all die philosophischen – und theologischen – Denker recht, die schon immer darauf hingewiesen haben, dass der Mensch ein ambivalentes Wesen sei: Er sei frei zum Guten und zum Bösen. Es gebe außerdem keinerlei Grund zu der Annahme, dass das Gute automatisch die Oberhand gewinnen werde.
Wie also gehen wir mit diesem Faktum um? Wie bewahren wir die Hoffnung? Was mir immer wieder hilf ist ein Satz von Vaclav Havel: Hoffnung, so Havel, sei nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgehen werde, sondern die Gewissheit, dass etwas sinnvoll ist, egal wie es ausgeht. Mir hilft außerdem die Erinnerung an Viktor Frankl, der selbst im Konzentrationslager nicht aufhörte, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten. Auch dort, so Frankl, habe man die Wahl, mit welcher inneren Einstellung man lebe. Auch dort gebe es Schönes zu entdecken und auch dort könne man den Aufgaben gerecht werden, die die Situation einem stellt. Letztlich steht hier auch der Gedanke von Immanuel Kant im Hintergrund: Der Wert einer Handlung oder eines Lebens hängt nicht am äußeren Erfolg, sondern an der inneren Gesinnung, die der eigenen Handlung, der eigenen Lebensweise zugrundliegt.
Darin liegt auch eine hilfreiche Beschränkung der eigenen Verantwortung: Wie ich heute lebe, woran ich mich orientiere, nur dafür trage ich auch die Verantwortung. Mehr als meinen Teil kann ich nicht tun. Und dieser Teil behält seinen Wert, egal, was da draußen passiert. Das fällt mir auch deswegen leichter, weil sich mir eines immer wieder aufdrängt, nämlich das Vertrauen darauf, dass die Welt als Ganze und jeder von uns getragen ist von einem umfassenden Gegenüber, den die Religionen Gott nennen. Im letzten Grund und im letzten Ziel, so mein Erleben, ist das, was wir böse nennen, schon immer und für immer überwunden.
Und dann gibt es da noch die ganz weltliche Überlegung, dass die finsteren Ereignisse heute vielleicht genauso wenig einen dauerhaften Trend darstellen wie die hoffnungsvolleren vor 30 Jahren. Wie es weitergeht, weiß kein Mensch – und hängt unter anderem auch davon ab, wie wir individuelle und kollektiv auf die heutige Situation reagieren. Menschliche Geschichte wird durch Menschen gemacht und kann durch Menschen verändert werden.