Dr. Phil. Oliver Florig

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Der zärtliche Blick

In meiner Arbeit mit Paaren passiert es sehr oft, dass beide sehr genau wissen, wie der jeweils andere „tickt“. Und natürlich haben Menschen, die in eine Beratung kommen, dabei oft keine allzu hohe Meinung von bestimmten
Seiten ihres jeweiligen Partners. Oft ist die eigene Sicht getrübt von Enttäuschungen und Verletzungen. Es kostet dann unter Umständen einige Mühe, ein wenig Raum zu schaffen für die Idee, dass der andere doch vielleicht anders sein könnte als gedacht.

In erster Schritt dazu kann darin bestehen, den anderen einmal etwas leidenschaftsloser, neutraler und objektiver zu betrachten als bisher. Anders gesagt, es kann sinnvoll sein, die eigenen Gefühle und den eigenen Standpunkt erst einmal von der Betrachtung des anderen zu trennen. Und dann kann man sich z.B. fragen, ob das Verhalten des anderen doch andere, vielleicht weniger boshafte Gründe hat, als diejenigen, die ich bisher unterstellt habe. Ja, man kann sogar darüber nachdenken, ob man zum Verhalten des anderen nicht selbst das ein oder andere beiträgt.

Dieser erste Schritt erlaubt es, die Situation etwas friedlicher zu gestalten. Viel nachhaltiger und schöner aber ist es, wenn einer oder gar beide sich dazu entschließen, den anderen mit einem wohlwollenden, oder gar zärtlichen Blick zu betrachten. Vielleicht mischt sich in diesen Blick auch ein wenig Mitgefühl: Wie geht es dem anderen in dieser Situation? Wie verzweifelt fühlt er oder sie sich möglicherweise? Ein zärtlicher Blick lässt sich von diesen Fragen berühren. Wer so schaut, kann fragen „Was braucht eigentlich der andere? Was kann ich für ihn oder für sie tun?“

Nur ein solcher Blick bekommt auch ein wenig von der möglichen Schönheit des anderen vor Augen.

Es ist wie mit der Welt als Ganzer überhaupt: Ein objektiver Blick sieht einerseits sehr viel, andererseits aber sieht er nichts von Bedeutung. Die majestätische, uralte Buche dort vorne wird einem solchen Blick zu einem Haufen Kohlenstoff oder zu ein paar Festmeter Holz. Die Schönheit einer Symphonie wird zu einer Ansammlung von Tönen, die sich neutral betrachtet, von den Tönen einer Kreissäge nicht unterscheiden lassen.

Nur der zärtliche, der liebevolle, der beteiligte Betrachter oder Zuhörer sieht also das, was wesentlich und bedeutsam ist. Nur derjenige, der sich so einem Menschen nähert, sieht ihn oder sie wirklich. Nur wer liebevoll ist, begegnet einem anderen Menschen.

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